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Esins Delight

Samova-Gründerin Esin Rager hat Grund zur Freude: Was als kleiner Teehandel anfing, ist heute eine international erfolgreiche Marke mit Vertriebssitzen in Dubai und Taipeh

Rager

Esin Rager gründete die Teemarke samova vor 13 Jahren

Häufig beginnen Erfolgsgeschichten eher zufällig. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes stellt die Journalistin Esin Rager fest, dass ihr die fertig gekauften Kräuterteemischungen, die sie während der Schwangerschaft getrunken hat, zu langweilig geworden sind. Die leidenschaftliche Teetrinkerin beginnt, selbst mit Kräutern zu experimentieren. Ihre Tees schmecken nicht nur ihr und ihren Kindern, sondern auch Gästen.

Mit zehn Tee-Mischungen im Programm gründet Rager gemeinsam mit drei Freunden 2002 die Teemarke samova. Der Name ist Programm: Er ist abgeleitet vom Samowar, dem russischen Teekocher, der früher wärmender Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens war, um den sich die Menschen friedlich versammelten. Deshalb lautet das Motto von samova auch: „We believe in friendship and tasty hot water“.

Die Corporate Identity mit dem Logo, das an ein fernöstliches Mandala erinnert, den Weißblechdosen und den verschiedenfarbigen Etiketten erhält gleich mehrere Design-Preise. Russischer Name, englisches Motto, fernöstliches Logo? Alle Komponenten verbinden sich harmonisch. Schließlich ist Esin Rager selbst eine gelungene Mischung: Ihr Vater ist ein türkischer Diplomat, ihre Mutter eine deutsche Lehrerin. Als Esin Onur kommt sie in Washington zur Welt, lebt in Moskau und in Wien. Den größten Teil ihrer Schulzeit verbringt sie im Hamburger Vorort Reinbek. Nach Hamburg zieht es die Frau mit der multikulturellen Lebensphilosophie auch nach dem Studium in Paris zurück. „Ich liebe den Hafen, das Wasser und vor allem die Weltoffenheit.“

 

Das Motto von samova lautet: „We believe in friendship and tasty hot water“

 

Mit besonderen Veranstaltungen wie Tanztees oder philosophischen Salons gelingt samova ein geschicktes Marketing. Die Tanztees mit Livemusik als ironische Gegenbewegung zu sterilen Businessveranstaltungen schlagen ein. Zum ersten 2002 im Hotel Atlantik hatten sich 150 Leute angemeldet. Es erschienen über 400 junge Werber, Musiker, Künstler und Designer. Auch durch ihren Mann, Stefan Rager, den ehemaligen Schlagzeuger der Hamburger Band The Jeremy Days, ist Esin Rager in dieser Szene mit trendigen Leuten, die über ein großes multiplikatorisches Potenzial verfügen, gut vernetzt.

2007 schreibt das manager magazin über den Teetrend und die neue Teekultur. Promis wie Robbie Williams werden auf einmal nicht mehr beim Konsumieren ungesunder Stoffe, sondern beim Bestellen von Tee beobachtet. Ein Trendsetter ist samova, schreibt das Magazin. Die jungen Unternehmer haben sich zum richtigen Zeitpunkt dazu entschlossen, Tee aus der Jugendherbergs- und Krankenhausecke herauszuholen. Ihnen geht es um eine moderne Teekultur und Tee als Lifestyle-Produkt.

 
TeeLimonaden
 

Zum Konzept gehören sorgsam entwickelte Namen, „die sind unsere Seele“, sagt Rager. Poetische Titel aus Popsongs wie „Low Rider“ oder „Smooth Operator“, ironische Anspielungen wie „Heidi’s Delight“ für einen Tee aus Bergkräutern oder suggestive Namen wie „Total Reset“. Für die Journalistin beginnt die Arbeit an einer neuen Teemischung wie die an einer Reportage: mit der Recherche. Für den Bestseller „Team Spirit“, den Rager anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 kreierte, suchte sie nach Zutaten, die mit Fußball zu tun haben: Lemongras symbolisiert den Rasen, Grüntee gibt den Kick, und die Rinde des Jatobabaumes kommt aus dem Fußballland Brasilien.

Alle Zutaten lässt samova regelmäßig im renommierten Fresenius Institut auf Schadstoffe testen. Fast alle stammen aus kontrolliert biologischem Anbau, die letzten drei Teesorten werden bis Mitte 2015 auf Bio umgestellt. Am Beispiel eines sortenreinen Plantagentees – herkömmliche Tees sind meist aus mehreren sogenannten Partien zusammengemischt – zeigt Rager begeistert, wie hochwertige Teeblätter aussehen müssen: unzerkleinert, lang und dünn. Und samova achtet auf Nachhaltigkeit. Alle Verpackungen sind recycelbar, für jeden Tee gibt es Nachfülltüten. Für den „isotonic tea drink“ wurde ein Tetrapack entwickelt, um die umstrittenen PET-Flaschen zu vermeiden. Das allerdings führte zu Verwirrung: Mit Tetrapacks verbinden die Kunden eher Milchgetränke, als einen fruchtigen Sport-Drink.

Ein Ziel von samova ist, Leckeres auf Teebasis zu entwickeln, das auch Teemuffeln gefällt, beispielsweise Tee-Limonaden mit Bio-Direktsäften. Wer mehr über Tee-Cocktails lernen möchte, kann sich einen Tea-Jay nach Hause bestellen, quasi einen DJ für Tees, der dort einen Workshop veranstaltet. Gesundheitsbewusste Eltern, die bisher verzweifelt versucht haben, die lieben Kleinen für das Aufgussgetränk zu begeistern, lassen den Tea-Jay auf Geburtstagen mit den Kids Eistee mixen.

ScubaLounge

Die Graffitis in der Scuba Lounge von samova sind die perfekte Kulisse für die Präsentation der verschiedenen Produkte


Die Räume im stilwerk, in Ragers ehemaligem Medienbüro, werden bald zu klein. 2007 zieht das Hauptquartier in die HafenCity, in den dritten Stock des Speichers in der Hongkongstraße 1, eines eher funktionalen Baus aus den 60er Jahren. Aus Platzgründen wurde die Produktion vor Kurzem nach Oststeinbek verlagert, was praktisch ist, denn die 46-Jährige wohnt mit ihrer Familie nur wenige Fahrradminuten entfernt in Öjendorf, das zu Billstedt gehört. Rager genießt die multikulturelle Atmosphäre dort. Ihre beiden Söhne Can Ludwig (15) und Sinan Anton (9) sollen genau dieses bunte Leben kennenlernen. Ragers Lieblingsplatz in der HafenCity ist der Basketballplatz am Kaiserkai, wo sie bei schönem Wetter mit ihren Söhnen spielen kann.

Die Räume in der Hongkongstraße dienen heute vor allem der Präsentation der Teemischungen. Die samova Tea Lounge besitzt einen lässigen Loft-Charme. Eine Fläche hat ein Graffiti-Künstler mit bunten Unterwassermotiven gestaltet, sonst sind Wände, Möbel und Regale weiß, so dass die Blechdosen mit den farbigen Etiketten zur Geltung kommen. Auf bequemen Sofas können sich Besucher aktuell durch 28 Teesorten trinken.

 

Zum Konzept gehören sorgsam entwickelte Namen: Poetische Titel aus Popsongs wie „Low Rider“ oder „Smooth Operator“, ironische Anspielungen wie „Heidi’s Delight“ für einen Tee aus Bergkräutern oder suggestive Namen wie „Total Reset“

 

Die englischsprachigen Namen sind kein Zufall. Von Anfang an war klar, dass samova seine multikulturellen Tees weltweit vertreibt. Selbst in klassischen Teeländern sind die deutschen Kreationen erfolgreich: Die Manufaktur hat einen Vertriebssitz in Taipeh und neuerdings einen in Dubai. „Die Chinesen entdecken gerade unseren Kamillentee.“ 2009 entwickelte Rager sogar eine Komposition für den Scheich von Abu Dhabi – „Magic Gold“, aus schwarzem Tee, Safran, Rosenblättern und Blattgold.

Mehr als 10.000 Kunden umfasst die Stammkundendatei von samova inzwischen, darunter die 25hours Hotelgruppe und die Wellness-Bereiche von MEIN SCHIFF. Auch das ausgeklügelte Vertriebssystem trägt zum Erfolg bei. Ein Drittel des Geschäfts läuft über das Internet, der Rest über ausgewählte Hotels, Feinkostanbieter, in Norddeutschland eine Reihe von EDEKA-Märkten und über Läden mit Lifestyle-Produkten. Auch in Restaurants werden samovaTees ausgeschenkt, etwa in der Bullerei oder in Herbert Grönemeyers Ø in Berlin.

Samova

Neben Unterwasser-Graffiti wird die Atmosphäre bei samova in der Hongkongstraße untermalt von Sinan Mercenks Compilation „Music for Modern Tea Culture“

Wichtig ist Rager soziales Engagement, unter anderem für die Bürgerstiftung und die HipHop Academy in Billstedt. Bei „Karibu Sun“, einem verfeinerten Rooibostee, fließen zwei Euro pro verkaufter Dose an Amref Health Africa, die sich um eine bessere Gesundheitsversorgung auf dem Kontinent kümmert.

Wie sehen die Zukunftspläne aus? „2015 wollen wir nach Nordamerika. Wir wachsen dort, wo es Leute gibt, die uns entdecken und den Vertrieb im jeweiligen Land selbst entwickeln.“ Damit sich die vielfältigen Aktivitäten finanziell lohnen, hat sich Rager mit Sebastian Lechner zusammengetan, Abgeordneter im niedersächsischen Landtag, Diplom-Volkswirt und „Banker mit Herz“. Seit Januar 2013 ist er Miteigentümer der samova GmbH und Co. KG. „Sebastian ist unser Experte für die Zahlen. Ich als Geisteswissenschaftlerin bin für die Kreativität zuständig“, erklärt Rager. Die drei Mitgründer haben sich inzwischen anderen Aufgaben zugewandt.

QUARTIER verrät die Tee-Designerin, welche Kreationen sie gerade entwickelt: „Gin Soul“ aus den Zutaten des Hamburger Gins „Gin Sul“, nur ohne Alkohol, und die Mischung „Digital Detox“, die die Menschen von elektronischen Medien wegführen soll. „Wir sagen: Mach mal Deinen Kopf frei und nimm Dir Zeit fürs echte Leben.“ Da spricht Esin Rager wohl vielen aus der Seele, vor allem Müttern mit Kindern, die dauernd am Tablet spielen wollen.

 

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Astrid Hüller und Jonas Wölk
Quartier 29, März–Mai 2015 , Rubrik:    
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