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Hamburgs Weinstraßen

Wo heute das Hanseatic Trade Center steht, hatten Hamburgs Weinhändler beim Bau der Speicherstadt Lager auf eigene Rechnung bauen dürfen

Brook

Das Quartier um St. Katharinen und das Wandrahmsviertel – hier der Brook in einer Aufnahme aus dem Jahr 1874 – waren vor dem Bau der Speicherstadt Zentren des Hamburger Weinhandels (1)

Dass Kaffee zu den Handelswaren zählte, die in der Speicherstadt einen besonderen Stellenwert hatten, gehört längst zur etablierten Hamburgfolklore. Verloren gegangen ist aber die Erinnerung daran, dass auch dem Wein keine geringe Bedeutung zukam. Ein Grund dafür ist vielleicht, dass die Speicher, die Hamburgs Weinhändler auf eigene Kosten im Freihafen errichteten, im Krieg zerstört wurden. Die Flächen lagen brach, bevor sie ab 1994 mit dem Hanseatic Trade Center bebaut wurden.

Am Haus Grimm 31 erinnerte eine gusseiserne Traube lange Zeit daran, dass Katharinenstraße und Grimm einmal kleine Weinstraßen waren. Im Nachbarhaus hatte der Weinkaufmann Peter Cordes seit 1797 Wohnung, Kontor und Lager. Später handelte auch dessen Sohn David Andreas vom Grimm aus mit Wein; von ihm heißt es, er habe seinen Commis Peter Timm 1813 in einem seiner Fässer aus der Stadt geschmuggelt, nachdem dieser sich den Zorn der französischen Besatzer zugezogen hatte.

Weinlager

Der Weinhandel hatte nicht dieselbe Bedeutung wie Kaffeehandel, war aber im Viertel stark verwurzelt: Weinlager in einem Hof am Kehrwieder (circa 1885) (2)

Als die Stadt schließlich die Planung der Speicherstadt anging, wurde ein Viertel der vorgesehenen Fläche reserviert, um sie nicht von der staatlichen Lagerhausgesellschaft HFLG bebauen und vermieten zu lassen, sondern sie direkt an Kaufleute mit spezifischen Lagerbedürfnissen zu vergeben. Zu dieser Gruppe zählte der aus Friedrichstadt in Holstein stammende Kaufmann Carl Ludwig Jebens. Er besaß einen großen Flaschenspeicher in der Mühlenstraße 18 sowie weitere Speicher am Kehrwieder und am Sandtorkai, die im Abbruchgebiet für den künftigen Lagerhauskomplex standen. Er bewarb sich dort um Baugrund und erhielt 1884 einen Pachtvertrag für 14,29 Mark pro Quadratmeter – mehr als 3 Mark unter den von der HFLG als Standard ausgegebenen 17,50 Mark, vermutlich weil Entschädigungsforderungen für den Abbruch seiner Speicher einige Aussicht auf Erfolg gehabt hätten. Der neue Jebens’sche Speicher entstand zwischen den Blöcken A und C, erhielt aber erst viel später die Bezeichnung Block B.

Speicherblock B

Weinspeicher von Jebens und Lorenz Meyer: Block B (mit der dunklen Fassade) (3)

Unmittelbar daneben entstand der Speicher des Händlers Lorenz Meyer, der einer alteingesessenen hanseatischen Familie entstammte, die seit 1728 eine Weinhandlung in Hamburg unterhielt. Georg Christian Lorenz Meyer, 1826 bis 1860 Hamburgischer Senator, führte sein Geschäft so erfolgreich, dass er zu einem der einflussreichsten Kaufleute der Stadt wurde. Später übernahm sein Sohn Friedrich Max das Unternehmen, während dessen Brüder Valentin Lorenz Meyer und Arnold Otto Meyer die bekannten Firmen Behn, Meyer & Co. (in Singapur) und Arnold Otto Meyer (in Hamburg) gründeten. Auch das Weingeschäft beschränkte sich nicht auf edle Tropfen, sondern investierte fleißig in Staatsanleihen und Aktien der Hapag und der Hamburg-Süd, in Banken, Versicherungen, Eisenbahnen, Bauunternehmen und im April 1885 auch in die HFLG. Seit dem 18. Jahrhundert gehörte der Familie ein Grundstück auf dem Cremon, das sie kontinuierlich ausbaute, bis daraus ein mehrstöckiger Speicher an der Ecke Katharinenstraße und Mattentwiete wurde. 1886 erhielt Lorenz Meyer den Zuschlag, neben Jebens ein Lager auf eigene Rechnung zu bauen.

Kaispeicher B

Weinlager im Kaispeicher B (1950) (4)

Andere Händler scheuten das Risiko eigener Speicher. G.H. Wehber & Cons. und D.A. Cords Söhne aus der Katharinenstraße mieteten 1885 Flächen auf dem Ostteil von Block E. Weil Weinlagerung eine geringere Bodenbelastung erfordert und keine größeren Kontore benötigt, die Baukosten also niedriger sind, gab die HFLG beachtliche Preisnachlässe.

Das alles ist Geschichte. Den Bomben im Juli 1943 fielen nicht nur die Blöcke A bis C zum Opfer, sondern auch zahlreiche Gebäude im Katharinenviertel. Aber selbst wenn Grimm 31 die Bomben überlebt hätte – es ist unwahrscheinlich, dass man wegen dieses Hauses die neue Ost-West-Straße umverlegt hätte.

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Speicherstadtmuseum (1), zeno.org (2), ELBE&FLUT Edition (3), Hamburger Hafen und Logistik AG (4)
Quartier 31, September–November 2015 , Rubrik:    
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