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Albtraum Stadt

Konstanty Gutschows Umgestaltungspläne für Hamburg

Gutschow

Modell der geplanten Neugestaltung des Elbufers mit dem Gauhochhaus und der Elbbrücke im Hintergrund. Im Vordergrund ist die Straße Vorsetzen in der Neustadt zu sehen. Im Bildzentrum liegen die St. Pauli-Landungsbrücken (Foto: Hamburgisches Architekturarchiv)

Es ist ein sonniger Tag im April 1949. Der deutlich gealterte Mann mit der braunen Uniform und der Schirmmütze blickt über die schwarzglänzende Motorhaube, die sich vor ihm erstreckt: ein Mercedes 770 Pullman, stolze sechs Meter lang mit einem Radstand von fast vier Metern. Unverkennbar deutsche Wertarbeit! Und Vorkriegsqualität! Für Geschwindigkeitsrekorde ist das tonnenschwere Gefährt zwar nicht geeignet, dafür gleitet es aber sanft und geschmeidig wie ein Kätzchen über den Asphalt, was ihm Sicherheit gibt – muss er in dem offenen Wagen doch nun eine Stunde lang stramm aufrecht neben dem Chauffeur stehen und dabei ständig den rechten Arm angewinkelt nach oben recken, so dass er nur die linke Hand frei hat, um sich an dem Rahmen der Windschutzscheibe festzuhalten.

Bereits als die Wagenkolonne am Deichtorplatz in die neue Ost-West-Straße biegt, sind die Massen am Straßenrand kaum noch zu bändigen. Scheinbar ungerührt lässt er den Jubel über sich ergehen. Viel interessanter ist ohnehin das Stadtbild, das sich ihm hier bietet. Die krummen Fleete, die die Altstadt früher durchschnitten hatten, sind unter einer mehrspurigen Straßenschneise verschwunden, und statt schmaler Speicher und Bürgerhäuser gibt es gleichförmige Klinkerblöcke mit steilen Dächern und Schaufensterarkaden im Erdgeschoss. Die wirken zwar etwas kasernenartig, aber das stört ihn weniger als der Maßstab, den er zu bescheiden findet, zumal hier auch noch ein paar hübsch herausgeputzte Barockhäuser stehen geblieben sind. Positiv vermerkt er dagegen, dass die Nikolaikirche abgerissen wurde. Ohne den neogotischen Bau, der in den Entwürfen immer im Wege stand, ließ sich die neue Straße viel geschmei-diger in den Hopfenmarkt einführen.

 

„ICH BIN NACH AMERIKA GEFAHREN UND DORT IN DEN STRASSEN ZWISCHEN WOLKENKRATZERN HERUMGELAUFEN UND HABE SIE MIR VON ALLEN SEITEN IN ALLEN BEZIEHUNGEN ANGESEHEN. SIE SIND NICHT SO SCHLIMM UND FURCHTBAR, WIE SIE VIELFACH GEMACHT WERDEN. WIR HABEN KEINEN WOLKENKRATZER IN EUROPA. SIE SIND UNS UNGEWOHNT. BEI DER ARBEIT AN DER AUFGABE IN DER VON MIR GESTELLTEN FORMULIERUNG ABER BIN ICH VON KEINER BINDUNG AUSGEHEND ZU DER INNEREN ÜBERZEUGUNG GEKOMMEN, DASS FÜR HAMBURG KEIN BAULICHES MITTEL GEEIGNETER IST, LETZTE MANIFESTATION DES GEISTES DIESER STADT, LETZTE STÄDTEBAULICHE FORM ZU SEIN, ALS GERADE EIN HOCHHAUS.“

 

(KONSTANTY GUTSCHOW, 6. MAI 1939)

 

 

Gutschow

(Foto: Hamburgisches Architekturarchiv)

Obwohl man ihn vorgewarnt hat, ist er enttäuscht, als sie die Neustadt erreichen. Die Sanierung ist hier seit seinem letzten Besuch kaum fortgeschritten. Angeblich soll Wohnungsmangel herrschen – was er für ein kleinliches Argument hält angesichts der großen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Aber er ist zuversichtlich, dass die Altbauten bald verschwinden werden, weiß man in Hamburg doch nur zu gut, dass Mietskasernen und Hinterhöfe den besten Nährboden für asoziales Verhalten und kommunistische Umtriebe bilden.

Als sie die breite neue Brücke unterhalb des Bismarck-Denkmals erreichen, hellen sich seine Züge auf. Konstanty Gutschow hat sein Versprechen eingelöst, dass zumindest das Elbufer von St. Pauli und Altona bis zu seinem 60. Geburtstag komplett neu gestaltet wird. Der mit Mietshäusern, Fabriken und Lagerhäusern besetzte Geesthang ist einer monumentalen Böschungsmauer gewichen, die eine Hochstraße abstützt. Von hier oben bietet sich zur Linken ein großartiger Blick über den Hafen. Zur Rechten erstrecken sich dagegen über mehrere hundert Meter die Häuser der privaten Wirtschaft – steinern, hart und monumental, wie er es gewünscht hat. Aber gleichzeitig moderner als die Bauten von Speer in Berlin, ist er doch der Meinung, dass Hamburg etwas Amerikanisches habe, und das solle man auch der Architektur ansehen. Deshalb hat Gutschow das 250 Meter hohe Gauhochhaus, das am Altonaer Balkon steht, auch wie einen Wolkenkratzer gestaltet. Und die neue Elbbrücke, die den Strom in Höhe von Övelgönne queren soll, wird an die Brooklyn Bridge in New York erinnern.

Hier sieht man endlich, dass Hamburg zum Zentrum des Welthandels auserkoren ist und zukünftig 2,5 Millionen Einwohner haben wird. Gut, die meisten der neuen Büros stehen leer, der europäische Binnenmarkt ist teilweise zusammengebrochen und der Handel mit den neuen deutschen Kolonien muss wohl noch auf Jahre subventioniert werden. Aber der Export nach Übersee gewinnt seit dem Friedensvertrag mit den USA allmählich wieder an Fahrt, und die Werften sind damit ausgelastet, die deutsche Handelsflotte wieder aufzubauen. Außerdem gibt es immer noch zahllose Menschen, die Europa verlassen wollen. Da wird Tonnage gebraucht! Und der neue Terminal für den Passagierschiffsverkehr, den Gutschow im ehemaligen Altonaer Fischereihafen gebaut hat. Als der Mercedes vor der Volkshalle anhält, in der bereits 20.000 handverlesene Gäste auf seine Rede warten, setzt ein ohrenbetäubender Lärm ein. Alle im Hafen liegenden Schiffe lassen ihre Nebelhörner auf einmal ertönen …

Gutschow

Die Modellwerkstatt von Konstanty Gutschows Architekturbüro an der Palmaille in Altona, 1941. Auf dem Modell im Vordergrund sind die Volkshalle (links) und das sogenannte Gauforum am Elbhochufer mit dem Gauhochhaus und Gebäuden für die Unterorganisationen der NSDAP zu sehen (Foto: Niels Gutschow, Archiv für Städtebau)

Schweißgebadet wacht der Verfasser dieser Zeilen aus seinem Alptraum auf. Nein, diese Fahrt Hitlers durch das neu gestaltete Hamburg hat es zum Glück nie gegeben. Aber die Schilderung hat einen realen Hintergrund. Konstanty Gutschow (1902–1978) war tatsächlich der offizielle Chefplaner für die Umgestaltung Hamburgs zu einer „Führerstadt“, wobei auch eine Ost-West-Straße vom Deichtorplatz zum Elbhochufer von St. Pauli und Altona geplant war, die im Osten der heutigen Willy-Brandt-Straße entspricht. Dabei ging es aber nicht nur um Monumentalbauten, sondern auch um die Sanierung der „roten“ Arbeiterviertel und aggressive wirtschaftspolitische Ziele. Selbst die Auswanderung aus den von Deutschland annektierten Ländern wurde in Betracht gezogen. In Hamburg war Gutschow seit 1945 Persona non grata. Aber Kollegen und ehemalige Mitarbeiter verhalfen ihm in anderen Städten bald wieder zu lukrativen Aufträgen. In Hannover, wo sein früherer Büroleiter Rudolf Hillebrecht zum Stadtbaurat aufstieg, war zeitweilig sogar eine Straße nach ihm benannt.

Text: Ralf Lange

Hamburg gehörte seit 1934 zu den fünf „Führerstädten“, die das NS-Regime durch großmaßstäbliche Planungen und Architektur repräsentieren sollten. Verantwortlich war ein junger Hamburger Architekt, der in der Weimarer Republik an der TH Stuttgart studiert hatte und 1939 mit gerade einmal 37 Jahren beauftragt wurde, Hamburg von Grund auf neu zu planen: Konstanty Gutschow. Seine Karriere quer zu allen politischen Systemen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht im Mittelpunkt dieses reich bebilderten Titels. Dem vermeintlichen Widerspruch zwischen Moderne und Volksgemeinschaft wird anhand der von Gutschow entwickelten Planungsgedanken der 1930er Jahre bis hinein in die bundesrepublikanische Nachkriegszeit nachgegangen. Die Publikation, herausgegeben von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, schließt damit eine bedeutende Lücke der Hamburger Architekturgeschichte und ergänzt diese um eine wichtige biografische Studie.

Gutschow

Sylvia Necker
Konstanty Gutschow 1902–1978
Modernes Denken und volksgemeinschaftliche –
Utopie eines Architekten

384 Seiten, 200 Farbabbildungen
Hardcover, 21 x 26,8 cm
ISBN 978-3-86218-020-2, 49,90 Euro
Dölling und Galitz Verlag

 

Quartier 32, Dezember 2015–Februar 2016 , Rubrik:    
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