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Mode, Mythen, Moon

Das Haus der Photographie in den Deichtorhallen widmet der großen französischen Modefotografin Sarah Moon eine umfassende Ausstellung

SarahMoon

Kasia Pysiak, 1998

SarahMoon

Sarah Moon, September 2015 (Foto: Delphine Warin)

Vielleicht waren es ja die frühen Brüche, die bei der 1941 geborenen Sarah Moon zu einem Leben voller Konstanten geführt haben. Einer jüdischen Familie entstammend, musste sie im Zweiten Weltkrieg mit ihren Eltern aus Frankreich nach London fliehen. Eine zweite plötzliche Wende in ihrem Leben ereignete sich, als sie 1968 – als Model in Paris arbeitend – für einen Fotografen einsprang, der sich krank gemeldet hatte. Der spontane Rollenwechsel gelang ihr offenbar so gut, dass das Nachrichtenmagazin L’Express ihre Modeaufnahmen nicht nur akzeptierte, sondern sie auch bald ihre Modelkarriere aufgeben konnte, um nicht mehr vor, sondern hinter der Kamera zu stehen. Sie fotografierte für das im poppig swingenden London angesagte Modehaus Biba und schon bald für Cacharel, das französische Modelabel, dessen Erfolg sie in den 1970er Jahren mit ihren romantisch-femininen Werbeaufnahmen entscheidend mitbestimmte.

Sonst verlief ihr Leben zumindest äußerlich in ruhigen Bahnen und ihr fotografisches wie filmisches Werk, das die Deichtorhallen jetzt mit über 350 Exponaten zeigen, zeugt von großer Beharrlichkeit, einer interessanten Besinnung auf Vergangenes und zugleich einer wundersamen Aktualität.

Ihren späteren Ehemann, den in der französischen Fotoszene einflussreichen Verleger Robert Delpire, lernte sie schon in den studentenbewegten späten 1960er Jahren kennen. Zusammen mit ihm lebt sie seit den 1970er Jahren in einem verwunschenen Backsteinhäuschen in einem stillen Innenhof des 14. Pariser Bezirks. In dem idyllischen Garten, der mit Efeu, Rosen und Hortensien eingewachsen ist, und in dem mit zahllosen Fotobänden und alten Möbeln eingerichteten Haus scheint die Zeit stillzustehen, als wäre eine Essenz dessen hier versammelt, was das Leben im 20. Jahrhundert liebens- und lebenswert gemacht hat.

 

Sarah Moon – Now and Then.
27. November 2015 bis 21. Februar 2016 im Haus der Photographie der Deichtorhallen, Hamburg

 

SarahMoon

o.T., 2008 (links), Fashion 9, Yohji Yamamoto, 1996 (rechts)

In eine leicht nostalgische, aber keinesfalls blauäugig vergangenheitsselige Stimmung versetzen auch ihre Arbeiten. Waren ihre Aufnahmen der 1970er Jahre romantisch träumerisch bis hippiemäßig versponnen, so ragen aus den Werken der kommenden Jahrzehnte insbesondere die Modeaufnahmen heraus, mit denen sie auf die architektonisch weiten, vom Körper abstrahierenden Entwürfe der japanischen Modemacher Issey Miyake, Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo reagierte und die Kleider wie verhalten glimmende Farbflächen aus einem malerischen, dunkel angelegten Hintergrund hervorleuchten ließ.

Und obwohl Sarah Moon 1972 die erste Frau war, die für den Pirelli-Kalender fotografierte, sind die Frauen in ihren Aufnahmen keineswegs vordergründig erotisch oder gar sexy angelegt. Nie werden ihre Körper exponiert. Vielmehr gleichen sie verträumten, melancholischen Wesen, die in ihre Kleider, die dunkel verschwommenen Hintergründe und die oft in wie verwittert aussehenden Bildoberflächen eingesponnen sind wie in einen bergenden, die vergehende Zeit einschließenden Kokon.

Beim Shooting braucht sie manchmal bis zu drei Stunden für ein einziges Bild. Sie klickt nicht unablässig auf den Auslöser, sondern wartet geduldig auf den einen Moment, in dem die Wirklichkeit sich ihrer Imagination annähert und sie doch überschreitet: „Ich fange bei nichts an. Ich stelle mir eine Situation vor, die nicht existiert. Den realen Raum lösche ich aus und erfinde einen anderen. Ich verändere das Licht. Ich lasse alles unwirklich werden. Und dann lauere ich auf etwas, das ich nicht erwartet habe. Ich möchte etwas sehen, was ich nicht erinnere. Ich warte auf den Zufall. Aber mehr als alles andere sehne ich mich danach, getroffen und berührt zu sein, wenn ich auf den Auslöser drücke.“

Diese Mischung aus einer Anmutung, die von gestern zu sein scheint, mit der schockhaften Plötzlichkeit des noch nie zuvor Gesehenen lässt ihre Bildwelten trotz aller Patina so heutig erscheinen. Das sichert ihr im Blitzlichtgewitter der zeitgeistig inspirierten aktuellen Fotografie eine Ausnahmeposition. Die meisten der Modeaufnahmen etwa für Chanel, Dior oder die Vogue und ihre neueren Arbeiten, die oft Stillleben sind oder Landschaften, werden in den Deichtorhallen in von Moon präzise komponierten Hängungen gezeigt. Und in der Mitte des zentralen Raums werden die Märchenverfilmungen laufen, die sie – nach frühen Werbeclips in den 1970ern und Spielfilmen in den 1990ern – seit einigen Jahren dreht und für die sie raffiniert Fotografien mit Animationen und gedrehten Szenen verschweißt.

SarahMoon

Die Möwe, 1998

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Der Birnbaum, 1992

Für den Besucher der Retrospektive „Now and Then“ stehen die Chancen gut, von den unbewegten wie bewegten Moon-Landschaften getroffen und berührt zu werden. Dass der Name der Fotografin so wundersam zur dunkel-romantischen Stimmung ihres Werks passt, ist übrigens nicht wirklich ein Zufall. Als sie nach ihrer ersten, so spontanen Fotoproduktion in der Redaktion des L’Express nach ihrem Namen gefragt wurde, suchte sie nach einem Pseudonym und entschied sich dann gegen den lichten Namen „Sarah Sun“, der ihr zuerst eingefallen war, und für das sonore „Moon“, das den nächtlichen, dem Geheimnisvollen und der Melancholie verwandten Himmelskörper anklingen lässt.

Text: Karin Schulze, Fotos: Sarah Moon
Quartier 32, Dezember 2015–Februar 2016 , Rubrik:    
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