Im Hafen zuhause
Während bereits 1.500 Menschen in die HafenCity gezogen sind, beobachten andere gespannt, wie sich Wohnen, Arbeiten und Tourismus vertragen.
Wohnen in der Innenstadt gehört für die meisten Menschen nicht zu den Wunschvorstellungen vom Leben. Der Maßstab für den bürgerlichen Erfolg war und ist für viele das eigene Haus, der Garten, das Auto, das einen zur Arbeit in die Stadt und anschließend wieder zurück zur Familie an den Stadtrand bringt. Wer würde die Geborgenheit und Übersichtlichkeit der Vorstadt mit überfüllten Bürgersteigen, lauten Straßencafés und Geschäften unter dem Schlafzimmerfenster tauschen wollen? Die jüngste Vergangenheit zeigt, dass diese Wahrnehmung der Innenstadt nicht mehr allgemein gültig ist. Überall in der Innenstadt entstehen kleine, gefragte Wohninseln, im Brahmsquartier, bei den Wallhöfen, im Katharinenviertel oder auch in der HafenCity. Deren überarbeiteter Masterplan hat die Bedeutung als Wohnstandort noch einmal bestätigt. Am Baakenhafen und sogar in den geschützteren Lagen an den Elbbrücken sind weitere Wohnungen vorgesehen, so dass die Gesamtzahl von 5.500 auf 5.800 ansteigt. Insgesamt ist ein Drittel der nutzbaren Fläche der HafenCity für Wohnungen vorgesehen.
Dabei bringt das Aresaniert weral für ein breit gefächertes Angebot an Wohnungen keine optimalen Bedingungen mit: Die Grundstückspreise in Hamburg liegen ohnehin verhältnismäßig hoch, und hier am Hafenrand mussten die Flächen erst einmal frei geräumt und den, nachdem sie über 150 Jahre der Hafenwirtschaft dienten. Das Gelände ist nicht von Deichen umschlossen oder durch ein Stauwerk geschützt und muss deshalb künstlich mit Poldern erhöht werden, um es vor Hochwasser zu bewahren. Auch sind die Gründungskosten am Wasser höher als auf dem festen Land, die hohen gesetzlichen Energiestandards sind für viele Gebäude in der HafenCity zusätzlich verschärft worden, und nicht zuletzt wurde die qualitative Messlatte für Bauvorhaben hoch gehängt: Schließlich wollte man keine triste, eintönige Allerweltsarchitektur entstehen lassen.
Leben in der Innenstadt ist nichts für jedermann: Die Privatsphäre endet an der Türschwelle.
Aus diesen Gründen liegen Mieten im neuen Stadtteil durchschnittlich um zwei bis drei Euro pro Quadratmeter höher als in vergleichbaren Lagen der Hamburger Innenstadt. Sogar genossenschaftliche Mietwohnungen wie am Dalmannkai kosten zwischen 9 und 13,50 Euro pro Quadratmeter. Das ist zwar vergleichsweise moderat, aber bei den angebotenen Wohnungsgrößen – in der Regel ab 75 bis 80 Quadratmeter, teilweise auch sehr viel größer – kommen beachtliche Beträge zusammen. Im freien Markt liegen Mieten am Dalmannkai noch höher, zwischen 14 und 17 Euro pro Quadratmeter. Eigentum beginnt bei 2.900 Euro pro Quadratmeter in Baugemeinschaften und reicht bis 8.000 Euro für Luxusapartments, in Einzelfällen sogar über 10.000 Euro. In einem Diskussionspapier zur Reurbanisierung kommt der Soziologen Dr. Marcus Menzl von der HafenCity Hamburg GmbH zu dem nüchternen Ergebnis, dass „die HafenCity eine deutliche Tendenz dazu hat, insbesondere Wohnraum im gehobenen Preissegment hervorzubringen.“
Das ist für die Stadtplaner der HafenCity Hamburg GmbH keine günstige Ausgangssituation. Ihr Ziel ist es, möglichst vielfältige Quartiere mit einer gesunden sozialen Mischung zu schaffen. Überlegungen, Mieten zu subventionieren, wurden schnell verworfen. Gemessen an den günstigsten Mieten in der HafenCity wäre es bei einer Mietpreisbindung von 5,70 Euro pro Quadratmeter nötig gewesen, die Hälfte und mehr zu subventionieren. Andererseits hat man bei den ersten 118 Wohnungen am Sandtorkai erkennen müssen, dass eine Vergabe von Grundstücken nach Höchstpreisen sehr einseitige Bewohnerstrukturen zur Folge hat. Deshalb werden Baufelder für Wohngebäude heute nicht mehr meistbietend verkauft, sondern zu Festpreisen an diejenigen Investoren vergeben, die die überzeugendsten Konzepte vorlegen. Dabei kann die HafenCity Hamburg GmbH gezielt steuern, etwa durch die Vorgabe, dass 30 Prozent der Erstbezieher Familien sein sollen. Auch die Einbeziehung verschiedener Bauträger hat spürbar Folgen für die Zusammensetzung der Bewohner: Genossenschaften sorgen sozusagen bereits von Haus aus für Mieter mit einer stärkeren lokalen Verwurzelung und Bindung an Hamburg. Auf diese Weise ist es gelungen, das Spektrum zu erweitern: Von den 614 Wohnungen am Dalmannkai sind ein Drittel von Genossenschaften und Baugemeinschaften errichtet worden, wobei sich Eigentum und Miete ungefähr die Waage halten. Es gibt besondere Projekte wie die Seniorenwohnungen, und am Lohsepark sind sogar 70 geförderte Mietwohnungen geplant. Das ist zwar recht bescheiden, aber es ist ein Anfang.
Die Bewohnerschaft der HafenCity setzt sich deshalb keineswegs nur aus Spitzenverdienern und Yuppies zusammen. Neben berufstätigen Paaren, die noch keine Kinder haben, und berufstätigen Paaren, deren Kinder bereits erwachsen sind, leben verhältnismäßig viele Familien hier. Jeder achte Haushalt hat Kinder, zum überwiegenden Teil im Alter von 6 Jahren und jünger. Ein wichtiges Zeichen wurde mit dem Umzug der Katharinenschule gesetzt, nicht zuletzt weil das Grundstück für andere Nutzungen sicherlich auch teurer hätte verkauft werden können. In jedem Fall war die Schule ein deutlicher Wink, dass sich die Stadt an dieser Stelle nicht ausschließlich Dinkies (Double-Income-No-Kids) oder Berufstätige ohne Kinder wünscht. Sie kann außerdem dazu beitragen, die HafenCity mit den angrenzenden Stadtteilen zu verzahnen. Eine Studie, die im Rahmen eines universitären Langzeitprojekts zwischen 2004 und 2007 durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass ein Drittel der Elternhaushalte nicht in der Innenstadt, sondern im äußeren Bereich Hamburgs, teilweise sogar im Umland leben. Viele nutzen die Schule und die Kita, um ihre Kinder nahe ihres Arbeitsplatzes betreuen zu lassen, denn überdurchschnittlich viele Mütter von Schülern der Katharinenschule sind berufstätig.
Neben Familien bilden Senioren eine große Gruppe in der Einwohnerschaft der HafenCity. Jeder Achte ist älter als 65. Für diese Gruppe zu planen und zu bauen, gehört heute zu den großen Herausforderungen. Nicht nur weil der demografische Trend es notwendig macht, sondern vor allem, weil das Rentnerdasein gut und gerne 20 Jahre dauern kann. Für einen solchen Zeitraum haben Stadtsoziologen in anderen Altersgruppen zahlreiche Kategorien und Subkategorien für Lebensstil, Freizeitansprüche und Wohnwünsche gebildet, während gleichzeitig angenommen wird, ab 65 spielten nur noch Gesundheitsfragen eine Rolle. Das geht an den Realitäten natürlich vorbei. So suchen die Senioren, die in den vergangenen Jahren in die HafenCity gezogen sind, ein neues lebendiges Umfeld mit möglichst kurzen Wegen zu Kultur und sozialem Austausch. Für sie ist der Umzug auf den Grasbrook eine Herausforderung, der sie sich ganz bewusst stellen.
Neben den beachtlichen Anteilen an Familien und Rentnern, die es in die Innenstadt gezogen hat, gibt es einen weiteren bemerkenswerten Aspekt: Die Anzahl von Ein-Personen-Haushalten liegt mit 36 Prozent weit unter dem Durchschnitt. In Hamburg ist jede zweite Hamburger Wohnung ein Ein-Personen-Haushalt, in der Innenstadt sogar noch mehr. Unter 40 Prozent liegt der Anteil nur in Vororten wie Hummelsbüttel, Neugraben-Fischbek oder im Alten Land. Das spricht gegen eine Hochburg für Yuppies. Die gibt es natürlich trotzdem. Aber es sind nicht so viele wie man denkt. Zumindest leben sie nicht allein.
Die HafenCity ist gutbürgerlich. Die Menschen, die hierher ziehen, sind in der Regel bereit, einiges in Kauf zu nehmen. Nicht nur finanziell. Im Jahr 2025 soll die HafenCity 12.000 Einwohner haben. 45.000 Menschen werden hier arbeiten, 1.500 studieren, 60.000 bis 80.000 kommen jeden Tag als Besucher, als Touristen, Kultursuchende, Cappuccino-Trinker, Einkaufsbummler, Spaziergänger. Die Privatsphäre der Anwohner endet an der Türschwelle. Leben in der Innenstadt ist nichts für jedermann. Es ist – urban. Da ist es, das Schlagwort: Ein unverzichtbares Versprechen von Stadtplanern, Architekten und Investoren, sogar von Genossenschaften, wenn es darum geht, innerstädtisches Wohnen zu preisen. Obwohl kaum ein Begriff in den aktuellen Diskussionen um die Zukunft der Stadt häufiger fällt, scheint er seine besondere suggestive Kraft vor allem daraus zu beziehen, dass er frei von klar umrissenen Inhalten ist: Sind verkehrsberuhigte Innenstädte urban? Ist familiengerecht urban? Ist Wohnen in Geschosswohnungen urban?
In den Augen mancher Soziologen wird Urbanität heute mit Cappuccino trinken und Shopping verwechselt.
Ins Spiel gebracht wurde der Begriff 1960 von dem Wirtschaftswissenschaftler Edgar Salin, der dabei nicht von Gebäuden oder Architekturen sprach, sondern von einer Lebensart. Städte sind nicht wegen ihrer bloßen Existenz schon urban. Urbanität sei, so Salin, nicht losgelöst „von der aktiven Mitwirkung einer Stadtbürgerschaft am Stadtregiment. Urbanität ist Bildung, ist Wohlgebildetsein an Leib und Seele und Geist.“ Durch die Gemeinschaft verantwortungsbewusster Bürger werde die Stadt „wieder Heimat für das Wichtigste, das uns heute zu entschwinden droht: der runde, freie, der lebende Mensch.“ Seine Ausführungen fanden erheblichen Zuspruch bei seinen Zeitgenossen, auch wenn die folgenden städtebaulichen Leitbilder einer „Urbanität durch Dichte“ in Großsiedlungen mündeten, an deren sozialem Erfolg heute einige Zweifel bestehen. Das kann aber Salins Grund-idee nicht erschüttern: Urbanität ist keine Eigenschaft der Stadt, sondern ihrer Bewohner.
Wo aber sind sie, diese Urbaniten? In den Augen mancher Soziologen wird Urbanität heute mit Cappuccino trinken und Shopping verwechselt oder ist inflationär zu einem leeren Modebegriff verkommen. Manche weisen auch darauf hin, dass die Vorstellung von Urbanität als eine Art quirliger Mischmasch an Begegnung und Reibung nur das Klischee eines eigentlich unerwünschten Zustandes sei: Das Gedränge in den engen, stinkenden Gassen, Märkte und kleine Gewerbe an Straßenecken und Plätzen waren nicht das Ergebnis von großstädtischer Lebensfreude, sondern von zu vielen Menschen auf zu wenig Raum. Die Auflösung der Stadt in ihre Funktionen und die räumliche Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit, die 1933 auf dem Internationalen Kongress für Neu-es Bauen in Athen eingefordert wurde, wirkte vor den beengten Verhältnissen zahlreicher Industriestädte befreiend. Erst in den sechziger Jahren wuchsen die Widerstände gegen diese „entmischte“ Stadt, die das Gewachsene unterdrückt und gemordet hatte. Jane Jacobs betrauerte den Tod der amerikanischen Städte, Alexander Mitscherlich in Deutschland „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“. In diesem Zuge fand auch das Urbane wieder zurück in die Diskussion. Indem man Wohnen, Arbeiten und Erholung gestattete, sich in klar begrenzten Räumen zu verbinden und zusammenzuwachsen, wollte man lange vermisste und verkümmerte städtische Strukturen wieder entstehen lassen: öffentliche Treffpunkte, kleinteilige Gewerbenutzungen und vor allem die Rückführung des Wohnens an den Puls der Stadt.
Eine Besonderheit der HafenCity ist: Alles ist neu. Diese einfache Feststellung hat eine weitreichende Konsequenz: Alle Prozesse, auch die sozialen, sind Gegenstand von Planung, denn es gibt keinen Ort, kein Plätzchen, an dem nicht der enorme Druck besteht, ihn städtebaulich irgendwie zu verwerten. Die Durchmischung der verschiedenen städtischen Funktionen ist geplant, nicht gewachsen. Sie führt nicht automatisch zum Ziel. Wenn etwa eine Schule zwischen Büros oder Wohnungen gebaut wird, erwachsen daraus nicht naturgemäß wünschenswerte Ergebnisse. Es geht also nicht darum, Nutzungsmöglichkeiten einfach zu mischen. Der Prozess muss geplant und vor allem begleitet werden. Die HafenCity Hamburg GmbH muss dabei den schwierigen Balanceakt leisten, die unterschiedlichen Ansprüche so zu verbinden, dass sie sich nicht gegenseitig blockieren. Dieses Ziel ist nicht ohne die Zusammenarbeit mit den Akteuren vor Ort zu erreichen. Und zwar auf sehr alltäglichem Niveau. Die Belange der Einwohner reichen von dem Wunsch nach einem Spielplatz mit überdachtem Spielhaus bis zu Problemen mit dem chaotischen Besucherverkehr.
Das ist nicht das Bild der seelenlosen, künstlich und mit viel Geld vorangetriebenen HafenCity, das bei vielen vorherrscht. Viele Bewohner sind es längst überdrüssig, sich dafür zu entschuldigen, dass sie an diesen leblosen Ort, in dieses Bildungsbürger-Ghetto gezogen sind, in dem nur Porschefahrer, FDP-Wähler, Dinkies und Yuppies nebeneinander herleben. Zugegeben: Ein Blick in eine Tiefgarage am Kaiserkai lässt eine gewisse Vorliebe für Porsche erkennen. Auch der Umstand, dass sechs Genossenschaftswohnungen mit etwa 70 Wohnungen 120 Autostellplätze haben, die monatlich mindestens 85 Euro kosten und durchweg belegt sind, spricht nicht gerade für eine übermäßig starke soziale Mischung. Aber Menschen definieren sich nicht über ihre Tiefgaragen. Zum größten Teil leben hier ganz normale Leute, die bereit sind, für eine Wohnung an der Elbe einige Opfer zu bringen, auch wenn der unaufhörliche Menschenstrom in den Straßen dem einen oder anderen gelegentlich zu viel wird. „Manchmal“, sagt Michael Klessmann, Herausgeber der HafenCity Zeitung und Bewohner der ersten Stunde, „manchmal freut man sich auf Regen.“ Aber davon gibt es in Hamburg ja reichlich.
Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: (1–3, 5–8) Thomas Hampel, (4) Andy Lindemann