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Der junge Wilde auf neuen Wegen

Frank Engelbrecht kann viele Menschen für seine Kirche St. Katharinen begeistern und engagiert sich im Quartier – Grund genug, ein Gespräch über seine Aufgaben, seine Sicht der HafenCity und die Bedeutung der Kirche für moderne Menschen zu führen.



Auch die Kirche profitiert vom Bau der HafenCity, dem größten innerstädtischen Stadtentwicklungsprojekt in Europa. Das Gemeindegebiet der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen vergrößert sich damit auf knapp 155 Hektar und wächst fast wieder in die Dimensionen des historischen Kirchspiels vor dem Bau der Speicherstadt. In den kommenden Jahren werden über 5.000 Wohnungen für bis zu 12.000 Menschen entstehen. Eine gute Chance für St. Katharinen, davon ist Frank Engelbrecht überzeugt.

Mit der HafenCity entsteht der modernste Stadtteil Hamburgs. Was bedeutet das für die über 750 Jahre alte Gemeinde?
St. Katharinen bildet einen geistlichen Mittelpunkt des neu entstehenden Quartiers. Wir stehen nicht erst seit Baubeginn in engem Kontakt und Austausch mit den verantwortlichen Stellen. Wir sehen unsere Arbeit als Teil dieses Projektes und bringen Gedanken, Ideen und Kritik ein. Die Menschen, die in diesem Stadtteil leben und arbeiten, sind in unsere Kirche eingeladen. Zugleich ist mir wichtig, hinauszugehen ins Quartier zu den Menschen, um gemeinsam mit ihnen Nachbarschaft zu fördern und Verbindungslinien zu ziehen, die Grenzen und Gräben überwinden. St. Katharinen ist ein wunderbarer Ort, um Kontakte zu knüpfen und für Gedanken- und Meinungsaustausch darüber, was wirklich wichtig ist in unserem Leben und in dieser Stadt. So leisten wir einen wichtigen Beitrag zur sozialen und damit auch zur geistigen und geistlichen Stadtteilentwicklung.

Wir wollen Brücken bilden und die
nachbarschaftliche Gemeinschaft fördern.

Wie sehen Sie die HafenCity?
Die HafenCity ist eine wunderbare Chance für Hamburg. Denn es wächst ein neuer Stadtteil, neue Strukturen entwickeln sich und wir können beim Entstehen zusehen und mitwirken. Ich wünsche mir, dass bei allem Planen genug Raum bleibt für die nicht planbaren Dinge. Die Erfahrung zeigt, dass es nie möglich ist, alle Eventualitäten vorauszuplanen. Damit das Projekt Erfolg hat, ist es nötig, dass Menschen daran beteiligt sind, die sich gegenseitig vertrauen und unterstützen. Für mich hält der Bau der HafenCity die Möglichkeit bereit zu einer Art Versöhnung mit der Geschichte. Beim Bau der Speicherstadt wurden viele Menschen aus dem Stadtteil ausgesiedelt, verloren ihr Zuhause und wurden entwurzelt. Jetzt kehren die Menschen zurück. Natürlich dürfen wir nicht naiv sein oder vergessen, dass die HafenCity vor allem ein politisch und ökonomisch sehr ambitioniertes Projekt ist, in das viel investiert wird. Aber um so wichtiger erachte ich die Aufgabe der Kirche, Partner zu finden, mit denen wir gemeinsam eine Lobby bilden für eine Qualität des Lebens in der HafenCity, die sich nicht reduzieren läßt auf Wirtschaft und Politik. Dazu gehören Themen wie Gastfreundschaft, Familienfreundlichkeit, oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wer sich dafür stark machen will, findet hier schnell viele Partner auf allen Seiten, sollte aber auch den Mut mitbringen, auf Dinge aufmerksam zu machen, die diesem Anspruch unter Umständen entgegenstehen. Das eine ist, am Sonntag darüber zu predigen, dass Geld nicht alles ist. Etwas anderes ist es, das auch in den Alltag zu übersetzen – nicht zuletzt auch in St. Katharinen. Immerhin suchen wir in unserem Fundraising nach Partnern und Freunden in der Stadt, die uns helfen, unser großes Sanierungsprojekt möglich zu machen: 13 Millionen Euro brauchen wir, um St. Katharinen für diese Stadt zu erhalten. Da ist es ungemein wichtig, dass wir uns nicht erschlagen lassen von dieser Zahl und nur noch an das Geld denken. Stattdessen sollten wir uns um so mehr dafür einsetzen, kulturelle, soziale und auch spirituelle Elemente des Lebens in dieser Stadt in einen lebendigen Dialog mit wirtschaftlichen und politischen Anforderungen zu bringen. Sie alle gehören dazu, wenn wir einen lebenswerten Stadtteil bauen wollen. Wenn es uns gelingt, deutlich zu machen, dass unsere wunderschöne Kirche St. Katharinen ein sichtbares Zeichen und Leuchtturm für wahre Pluralität und Menschlichkeit ist, dann glaube ich fest daran, dass wir eine ausreichende Zahl von Menschen und Institutionen finden, die sagen: „Das und noch mehr ist St. Katharinen mir wert!“ Das wäre doch eine außerordentliche Qualität, wenn wir es im Herzen Hamburgs hinbekommen, dass das Geld sich nachhaltig in den Dienst des Lebens stellt, und nicht umgekehrt, oder?

Wie sieht das konkret aus?
Ein gutes Beispiel dafür ist die Katharinenschule und die Kinderbetreuung, in der wir uns jetzt schon gemeinsam mit Partnern wie der Diakonie, dem Familienservice und jugend hilft jugend e.V. engagieren. Oder die Kreuzwege, unser Dialog von Kunst, Kirche und Stadtentwicklung, wo moderne Künstler Kunst in der Kirche und im Quartier ausstellen. Auf Stadtrundgängen – den Kreuzwegen – erkunden wir in der Passions- und Osterzeit das Quartier entlang der Kunstwerke und entdecken die künstlerischen und geistlichen Qualitäten der Stadt oder die Sehnsucht danach. Ein weiteres Beispiel ist das fröhliche Stadtteilfest – „Katharina feiert“ – in dem wir im letzten Sommer die Nachbarschaft auf dem Katharinenkirchhof zusammengeführt und gestärkt haben, zusammen mit Partnern und Sponsoren aus dem Stadtteil, zum Beispiel dem Bauverein zu Hamburg, Maritim Invest, der HHLA, der HafenCity Hamburg GmbH, Jens Stacklies und vielen anderen. Das war das gemeinsame Ziel aller Beteiligten: sich gegenseitig in seinen Kompetenzen zu stärken und gemeinsam zu genießen. In den Worten der Kirche: Ein Fest ist immer auch ein Stück Himmelreich und eine gute Gelegenheit, Gott zu begegnen. Und das ist doch weit mehr als nur gemeinsam zu essen und zu trinken – dafür feiern wir übrigens auch jeden Sonntag unsere Gottesdienste!

Die HafenCity ist eine wunderbare Chance für Hamburg. Denn es wächst ein neuer Stadtteil, neue Strukturen entwickeln sich und wir können beim Entstehen zusehen.

Die Kirche steht im Wettbewerb mit einer fast täglich wachsenden Zahl von Unterhaltungsmedien. Was kann sie bieten?
Moderner Glaube beinhaltet ein Angebot, das den Namen verdient und nicht nur seelenfängerischen Aktionismus darstellt. Es ist nicht unser Auftrag, sinnentleerte Ablenkung anzubieten. Wir arbeiten täglich an der Schnittstelle zu einem Glauben, der trägt und nicht etwa entmündigt oder Menschen klein macht. Gott ist groß genug, der braucht keine kleinen Menschen. Zur Größe aber gehört auch der Zweifel, wie zum Halt Loslassen gehört. Kirche und Glaube lassen gleichermaßen Raum – in dem man sich bewegen und etwas wagen kann und soll.

Kann die Institution Kirche mit ihren überlieferten Strukturen hier überhaupt mithalten?
Aus der staatskirchlichen Tradition heraus hat die Institution starke aber teilweise auch starre Strukturen. In der Entwicklung der modernen Kirche sehe ich eine Parallele zu einem großen Kommunikationsunternehmen aus der Nachbarschaft. Die Kirche hat ein großes Netzwerk und eine reiche Tradition. Und das ist von unschätzbarem Wert und auch ein Garant von Kontinuität. Zugleich führt kein Weg daran vorbei, dass der Blick zurück auf die Tradition allein nicht ausreicht. Strukturen, die ihre Wurzeln im 18. und 19. oder beginnenden 20. Jahrhundert haben, sind schwer geeignet, der Gegenwart auf Augenhöhe zu begegnen oder die Zukunft zu gestalten. Die Welt verändert sich rasant. Da müssen wir nicht überall hinterher laufen. Aber einfach nur stehen zu bleiben und sagen „So ist das nun mal!“ ist auch keine Alternative. Wir müssen unsere Tradition immer wieder riskieren, sonst werden wir von Verkündern des Evangeliums zu Besitzstandswahrern. Und das heißt: Wir müssen verstehen, dass die Kirche kein Alleinvertretungsrecht für die Deutung der Gegenwart hat. Stattdessen müssen wir uns auf die Pluralität von Lebenswelten einstellen und sie nicht nur wohl oder übel akzeptieren, sondern sie begrüßen und fördern als Lob für den Reichtum der Schöpfung – eine nicht immer einfache Aufgabe – weder für die Kirche noch für andere. Darin sehe ich aber eine der großen Herausforderungen unserer Zeit.

Sollte dann nicht vielleicht über ein neues, flexibles System nachgedacht werden?
Ich glaube ja. Für mich ist die Kirche eine geistliche NGO (Anmerkung: englisches Kürzel für eine nicht der Regierung angehörende Organisation). Insofern hoffe ich, dass es der Volkskirche gelingt, ihre geschichtliche Verwurzelung in staatskirchlicher Tradition abzubauen, ohne ihre geistige und geistliche Freiheit zu verlieren oder sich im Ringen um Aufmerksamkeit auf Show und Entertainment zu verlegen. Der Vorteil an der Amtskirche ist: Die Form oder die Verpackung, wenn Sie so wollen, ist bereits gegeben. Jetzt können wir uns auf die Inhalte konzentrieren, damit nach außen ins Gespräch gehen und nach innen die Form weiterentwickeln. Das passiert in St. Katharinen auch schon. Nehmen wir nur das Beispiel Fundraising. Das ist eigentlich keine genuin amtskirchliche Art der Geldbeschaffung – durchaus aber eine biblische. Wer beispielsweise die Paulusbriefe liest, wird in dem Apostel einen ausgezeichneten Fundraiser entdecken. Dessen Stärke ist es, seine Inhalte nicht im Ausverkauf zu verschleudern, sondern mit den Inhalten die Herzen der Menschen zu öffnen und sie dazu zu inspirieren mit zu bauen und auch Geld zu geben für etwas Großes und Nachhaltiges. So suchen auch wir engen Kontakt mit den Menschen, die hier leben und arbeiten. Mit ihnen wollen wir uns darüber auseinandersetzen, was die wunderschöne Katharina für unsere Stadt und unseren Hafen bedeutet und welch unbezahlbaren Wert es hat, dass sie hier steht inmitten von Altstadt, Speicherstadt und HafenCity, mit den Menschen, die sie besuchen und die sich hier engagieren.

Hatten Sie während Ihrer Ausbildung und Ihres Studiums auch Zweifel?
Natürlich, ich bin doch auch nur ein Mensch und beschäftige mich noch heute mit dem Spannungsfeld zwischen dem Sonntag und seiner Hoffnung und dem Alltag mit seinen Zweifeln. Meine „Berufung“ habe ich mir erst nach dem Vikariat eingestanden, davor habe ich ein dreiviertel Jahr in Israel verbracht, wo ich eigentlich noch nicht vor hatte, Pastor zu werden. Während des Vikariats dann durfte ich neue Verantwortung übernehmen und musste lernen, aus dem Bekenntnis zum Glauben heraus zu sprechen. Bei einer Beerdigung wurde mir das zum ersten Mal ganz besonders deutlich, und diese Erfahrung hat mich sehr beeindruckt. Gegen Ende des Vikariates habe ich trotzdem und um ganz sicher zu sein, ein Praktikum in einer Werbeagentur gemacht und dabei sehr viel gelernt. Diese Eindrücke möchte ich zwar nicht missen, aber wie Sie sehen, waren die Eindrücke, die ich im Vikariat gesammelt habe, nachhaltiger. Denn damit war in mir die Erkenntnis gewachsen, dass ich den Glaubensweg weiter verfolgen möchte.

Wie sieht der Tagesablauf eines modernen Pastors aus?
Nun, er ist eigentlich immer zu kurz. Wichtig ist mir am Beginn des Tages meine Familie und das Frühstück mit den Kindern, die ich danach zusammen mit Sunniva, meiner Frau, in die Schule oder in den Kindergarten bringe. Damit beginne ich jeden Arbeitstag, der dann geprägt ist von zahlreichen Terminen mit „Networking“ und Besprechungen, Arbeitskreisen, Administrationsaufgaben, Tauf- und Hochzeitsgesprächen, Trauerfällen und natürlich Seelsorge, Gottesdienstvorbereitung und Predigtschreiben – das sind meine Zeiten der Meditation. Das ist das Schöne, aber auch die Gefahr des Pastorenberufs: dass die ganze Welt dazu gehört.

 



FRANK ENGELBRECHT
Frank Engelbrecht, 43 Jahre, ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Nach seinem Theologiestudium in Kopenhagen, London und Hamburg erhielt er 1997 seine Ordination zum Pastor der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Seit fünf Jahren arbeitet er an der Hauptkirche St. Katharinen. Bis Mitte 2007 betreute Frank Engelbrecht als hauptamtlicher Pastor auch die Flussschifferkirche.


Als eine besonders schöne Aufgabe empfindet er die Realisierung der Lausch-Lounge in St. Katharinen gemeinsam mit Michi Reincke („Taxi nach Paris“). Die Konzertreihe mit jungen Musikerinnen und Musikern füllt die Kirche regelmäßig bis zum letzten Platz. Die Künstler, die Engelbrecht und Reincke dorthin einladen, sind ganz besondere Talente, die ihre Musik live vortragen. Der nächste Termin ist für Sommer 2008 geplant. Frank Engelbrecht engagiert sich aber auch über die Gemeinde hinaus in internationalen Projekten, so ist er zum Beispiel Mitbegründer des ökumenischen Ostseejugendnetzwerkes „bien – Baltic Intercultural and Ecumenical Network“.

 


 

Inerview: Susanne Wiedemann, Fotos: Thomas Hampel

Quartier 01, April–Mai 2008 , Rubrik:    
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