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Alte Liebe rostet nicht

Während mancher ihrer Altersgenossen froh ist, endlich Zeit für seinen Garten zu finden, sehnen sich diese Pensionäre nach dem Geruch von Öl und Diesel.


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Sie freuen sich nicht auf ihren Ohrensessel, sondern auf den Hilfsdiesel. Ihr Lieblingsgeräusch: das Stampfen eines 2-Takt-Motors mit 9 Zylindern und 11.650 PS. Wenn die Hauptmaschine zu vibrieren beginnt, kriegen die Freiwilligen der Cap San Diego feuchte Augen. Es ist nicht zuletzt ihr Verdienst, dass das größte fahrtüchtige, zivile Museumsschiff der Welt heute fährt.

Schlammtank gereinigt

Der Begriff Museumsschiff ist vielleicht irreführend. Zwar besuchen jedes Jahr etwa 100.000 Menschen die laufenden Ausstellungen. Verlässt man aber den Museumsbereich in den alten Ladeluken und begibt sich hinab in den Bauch des Schiffes, entdeckt man bald eine andere Seite des alten Frachters. Mehrere Treppen abwärts, vorbei an der Werkstatt, hinab in den Maschinenraum. Auf einer Schiefertafel im Separatorenraum sind mit Kreide die erledigten Arbeiten vermerkt: „Schlammtank gereinigt 02.08.08“. An dieser Stelle angelangt, hat man das Tageslicht bereits weit hinter sich gelassen. Es ist eng, schmutzig und laut. Nicht weit davon arbeitet, ölverschmiert, den Schweiß auf der Stirn, ein Ingenieur im roten Overall. Es ist fast fünfzig Jahre her, dass Bernd Zietlow auf der Stülcken-Werft in Steinwerder seine Ausbildung gemacht hat. Heute steht er, siebzigjährig, auf einem kleinen Bock und arbeitet am vierten Hilfsdiesel im Maschinenraum der Cap San Diego. Freiwillig.

Bernd Zietlow ist einer von über dreißig ehrenamtlich arbeitenden Freiwilligen, die die Cap San Diego in Schuss halten. Zweimal pro Woche, an jedem Dienstag und Donnerstag zwischen neun und fünfzehn Uhr, kommen sie an Bord und arbeiten an den Ölleitungen, der Belüftungsanlage oder den Ladebäumen. Die meisten von ihnen kommen aus der aktiven Seefahrt, häufig im Dienste des ehemaligen Schiffseigners, der Reederei Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft Eggert & Amsinck, kurz: Hamburg-Süd. So wie Konrad „Conny“ Herischek, der als Motorenwärter für die Hamburg-Süd auf See war, bevor er an Bord eines Schwesterschiffs der Cap San Diego, der Cap San Marco, nach Buenos Aires auswanderte und später an Bord derselben Cap San Marco auch wieder nach Deutschland zurückkam.

Oder Kurt Flechsenhar. Im Alter von sechzehn Jahren heuerte er bei der Hamburg-Süd als Schiffsjunge an. Manche der Männer sind früher zur See gefahren, haben aber später in einen Landberuf gewechselt. Wieder andere, wie Jürgen Rohlf, sind nie zur See gefahren. Er ist der erste Spross einer alten Seefahrerfamilie, der an Land blieb. Allein das war im März 2008 Grund genug für ihn, ehrenamtlich an Bord der Cap San Diego zu gehen.

Kaffee, Kuchen und Kognac

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Fast ein bisschen wehmütig sprechen die Männer von der Kameradschaft und dem Gefühl der Zusammengehörigkeit auf See.

Aber wer glaubt, dass sich hier ein paar ältere Herren treffen, um die gute alte Zeit hochleben zu lassen, sieht sich schnell getäuscht. Hier wird richtig Hand angelegt. Die Ladebäume werden heruntergelassen, die Drahtseile herausgenommen und gefettet. Labsalben sagt man an Bord dazu. An der Backbordseite wird die Verschanzung entrostet. Nachdem das Schiff auf Dieselöl umgestellt hat, werden nun nach und nach die Rohrleitungen von Schwerölrückständen gereinigt. Solange das Wetter noch einigermaßen gut ist, wird an Deck gemalt. Dietrich Busch steht auf dem Vorschiff und legt für einen Moment den Pinsel aus der Hand. Er hat als Schiffsjunge angefangen, ist danach als Matrose zur See gefahren und hat schließlich sein Kapitänspatent gemacht. Seit 2003 gehört er zu den Freiwilligen. Warum tut man sich das mit 68 Jahren noch an? „Damit man nicht auf dumme Gedanken kommt“, erwidert er. Die Arbeit hält den Geist zusammen. Otto Meier, Jahrgang 1936, sieht das genauso. Frau, Haus und Garten sind eine Sache. Ein Schiff wie die Cap San Diego ist etwas anderes. Außerdem, fügt er augenzwinkernd hinzu, warten ab fünfzehn Uhr in der Messe nach getaner Arbeit „die drei großen K: Kaffee, Kuchen und Kognac“.

Die Freiwilligen verbindet eine Leidenschaft: ihr Schiff. Und die Cap San Diego ist zu einem großen Teil ihr Schiff, nicht nur, weil viele von ihnen darauf gefahren sind. Ihre jahrelange
ehrenamtliche Arbeit hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Schiff heute fahrtüchtig ist. „Die Männer können hier was bewegen. Sie sind Teil eines großen Ganzen. Und es ist tatsächlich so, dass das Schiff ohne die Ehrenamtlichen nicht einen Meter fahren könnte. Ganz einfach“, sagt Kapitän Jens Weber, Geschäftsführer der Gesellschaft, die das Schiff für die Stiftung Hamburger Admiralität betreibt. „Es wäre zu teuer, und zum Teil fehlt auch das Know-how.“ Die Männer verstehen ihr Handwerk, sind aber vom alten Schlage. Deshalb glaubt man bei ihnen allen diese ganz leichte Geringschätzung für voll automatisierte moderne Technik herauszuhören. Kapitän Weber bringt es so auf den Punkt: „Anders als bei einem großen Containerschiff gibt es auf der Cap San Diego keinen klimatisierten Raum für fünf, sechs Leute mit Bildschirmen, Drucker, E-Mail und Käffchen. Wenn man wissen will, wie warm es hinten in der Maschine ist, dann geht man da hin und guckt sich das an. Entweder man legt die Hand auf oder man glaubt dem Thermometer.“

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Kollegiale Gemeinschaft tief unter der Brücke: Bei Ausfahrten der Cap San Diego muss nicht nur die historische Maschine wie geschmiert funktionieren.

Trotz der Ernsthaftigkeit und der Fachkenntnis, mit der die Männer zu Werk gehen, könnte leicht der Eindruck entstehen, hier träfen sich große Jungs in einer Art überdimensionaler Hobby-Garage, um ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: Dinge zusammenschrauben, Sachen löten, schweißen, hämmern, deichseln. Herumtüfteln. Fluchen. Und dann das Glücksgefühl, wenn irgendetwas wieder funktioniert, zum Beispiel, so Jürgen Beick, wenn der Dieselmotor nach der Überholung nicht gleich wieder auseinander fliegt. Es geht bei der Arbeit der Freiwilligen aber nicht um reine Zerstreuung. Das Ziel ist immer der Erhalt der Fahrtüchtigkeit. Die Cap San Diego ist nicht nur ein Traditionsschiff, sondern auch ein richtiger Frachter. Über fünfzehn Jahre lang durfte sie nur mit Sondergenehmigung und Auflagen in Fahrt gesetzt werden, so dass im März niemand wusste, ob das Schiff im Mai beim Hafengeburtstag auslaufen konnte. Deshalb wurde schließlich im März 2006 beschlossen, diesem Zustand ein Ende zu machen. Nach einem fast dreiwöchigen Aufenthalt bei Blohm+Voss erhielt sie vom Germanischen Lloyd ihr Klassenzeichen 100 A 5 K 50 zurück und erlangte gleichzeitig den Fahrerlaubnisschein der Seeberufsgenossenschaft. Heute ist die Cap San Diego also in gewisser Weise ein ganz normales Frachtschiff wie es vor Einführung der Containerschifffahrt üblich war. Durch die kontinuierliche Arbeit der Freiwilligen wird das Schiff nicht nur immer autarker, sondern auch nach und nach in den ursprünglichen Zustand zurück versetzt. Das ist umso wichtiger, nachdem die Cap San Diego im Dezember 2003 in die Hamburger Denkmalliste eingetragen wurde. Das Schiff wurde dadurch nicht nur unter Schutz gestellt, es ergibt sich daraus vor allem die Verpflichtung, es so zu erhalten wie es ist.

Es gibt hier keine klimatisierten Räume mit Bildschirmen und Käffchen.

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Damals sachlich, heute nostalgisch: Die Technik vergangener Jahrzehnte braucht liebevolle Pflege.

Martin Mevius ist bereits dabei gewesen, als die Cap San Diego im Dezember 1961 bei der Deutschen Werft in Finkenwerder vom Stapel lief. Er kennt das Schiff und weiß, dass sich im Wesentlichen nicht viel geändert hat. Die technischen Einrichtungen sind noch fast vollständig im Originalzustand an Bord vorhanden. Nur hin und wieder finden sich kleine Hinweise auf das wechselhafte Geschick des Schiffs. So kann man etwa in einem Winkel weit hinten im Maschinenraum, an einer Anzeigetafel unter gewundenen Rohren, drei alte spanische Aufkleber studieren: „Aspiracion“, „Aceite“ und „Alta Presion“. Die Reederei Hamburg-Süd hatte seinerzeit sechs baugleiche Stückgutfrachter in Auftrag gegeben, die sie alle nach verschiedenen Caps benannte: Cap San Nicolas. Cap San Antonio. Cap San Marco. Cap San Augustin. Cap San Lorenzo. Und als letztes und jüngstes Schiff der Baureihe die Cap San Diego. Wegen ihrer eleganten Form, die von dem Hamburger Architekten Cäsar Pinnau entworfen wurde, und ihrer üblichen Reiseroute zwischen Europa, Brasilien und Argentinien wurden die Cap San-Schiffe bald als „Weiße Schwäne des Südatlantik“ bekannt. Ihre Namen sind keineswegs Fantasieprodukte. So liegt das Cabo San Diego auf der Tierra del Fuego: auf Feuerland in Argentinien.

Als die Hamburg-Süd begann, auf Containerschiffe umzurüsten, wurde die Cap San Diego zunächst 1981 an die spanische Reederei Ybarra und dann im Frühjahr 1986 an die Multitrade Shipping Inc. in Monrovia verkauft und fuhr unter der Flagge der Karibikinsel St. Vincent mit Heimathafen Kingstown. Angeblich aus einer Schnapslaune heraus benannte sie ihr neuer Besitzer Geoffrey Walker in „Sangria“ um und plante schließlich, sie zur Verschrottung nach Hongkong zu überführen. Unmittelbar bevor es das gleiche Schicksal wie ihre fünf Schwesterschiffe ereilte, wurde das Schiff, durch Zeit und Vernachlässigung schwer gezeichnet, von der Stadt Hamburg gekauft und so in letzter Minute vor dem Hochofen gerettet. Am 31. Oktober 1986, inzwischen wieder unter dem Namen Cap San Diego, fuhr der letzte Weiße Schwan mit einer Besatzung von siebzig Freiwilligen und über zweihundert Gästen, darunter Cäsar F. Pinnau, von Cuxhaven kommend die Elbe hinauf und machte an der Überseebrücke fest.

Das erste und das letztes Schiff

Martin Mevius war auf der Werft, als die Cap San Diego vom Stapel lief. Er war an Bord, als sie von Cuxhaven wieder nach Hamburg fuhr. Und heute ist er wieder dabei. Für Norbert Glänzer, der über zehn Jahre für die Hamburg-Süd zur See gefahren ist, stellt es sich so dar: „Es war mein erstes und wird mein letztes Schiff sein.“ Fast ein bisschen wehmütig sprechen die Männer von der Kameradschaft und dem Gefühl der Zusammengehörigkeit auf See. Einen Nachhall davon finden sie bei ihrer Arbeit mit den anderen Freiwilligen. Alte Kollegen. Sie blicken auf ähnliche Erfahrungen zurück. Sie sprechen dieselbe Sprache.

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Der Maschinentelegraf übersetzt die Befehle von der Brücke: Unter der Wasserlinie müssen die Anweisungen blind nachvollzogen werden – hier zählt nur das Vertrauen in die Schiffsführung.

A propos Sprache. Dass man es nicht mit pensionierten Buchhaltern zu tun hat, erkennt man nicht nur an den Overalls. Die Bord-Managerin Gesa Rädeker macht die Männer mit einem Besucher bekannt: „Hier ist ein junger Mann von der Zeitung. Vielleicht kann ihm ja mal jemand einen Kaffee bringen“ Die Männer sehen sich an. „Kaffee holen? So weit kommt das noch! Den Gang runter ist die Pantry, da sind Tassen.“ Das ist keineswegs ungastlich gemeint. Im Gegenteil. Nur: Das hier ist ein Hamburger Frachtschiff und keine Alsterbarkasse.

Nach dem morgendlichen Kaffee gehen die Männer an die Arbeit an Deck oder in der Maschine. An diesem Tag kommen gerade oben im Salon die Pensionäre der Hamburg-Süd zu ihrem jährlichen Treffen zusammen. Währenddessen arbeiten im Maschinenraum die ehemaligen Ingenieure, Dreher, Schlosser und Elektromechaniker am Hilfsdiesel, an den Ölleitungen oder am Schlammtank. Es ist also alles ein bisschen so, wie es immer war.
 

Text: Nikolai Antonaidis, Fotos: Katja Hansen, Thomas Hampel

Quartier 04, Dezember 2008–Februar 2009 , Rubrik: ,    
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