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Der Zeitreisende

Am Pickhuben pflegt ein Kaffee-Experte der alten Schule seit über 60 Jahren
Hamburgs Tradition im Kaffeehandel.
Otto Heinrich Steinmeier in der Sitzecke seines Büros. Auf dem Tisch die Firmenflagge und ein Aschenbecher der HAPAG.

Otto Heinrich Steinmeier in der Sitzecke seines Büros. Auf dem Tisch die Firmenflagge und ein Aschenbecher der HAPAG.

„Vom Leben kann man sich nicht pensionieren“, sagt ein Mann, der es wissen muss: Otto Heinrich Steinmeier ist mit 81 Jahren Hamburgs ältester Kaffee-Agent. Noch heute, nach 62 Jahren in der Branche, steht Steinmeier morgens um sechs Uhr auf, duscht kalt, frühstückt mit seiner Ehefrau und macht sich dann auf in die Speicherstadt, zu einem Zehn-Stunden-Arbeitstag. Auf dem Weg ins Büro seiner Kaufmannsfirma J. G. Paul Böckmann ist Steinmeier im Geiste schon bei der Kundschaft: Wie hat sich der Kaffeepreis entwickelt? Was machen die Börsen und der Dollarkurs? Welche Kunden muss ich heute besuchen? Solchen Fragen stellt er sich täglich. Einziger „Mitarbeiter“ ist, nachdem ihn drei Kompagnons schon bis Mitte der 90er Jahre sowie seine treue Sekretärin durch „plötzlichen Tod“ mit 81 Jahren verlassen haben, ein Pager, den er immer bei sich trägt. Ein kleines Wunderding, wie Steinmeier meint, der ihn mit der großen weiten Wirtschaftswelt verbindet. Kaffee ist schließlich nach Erdöl das globale Handelsgut Nummer Zwei. Ansonsten gibt sich der gebürtige Hamburger eher konservativ, sei es in Sachen technischer Hilfsmittel, aber vor allem, was das Berufsethos betrifft. Für ihn gilt das gesprochene Wort. Kaffee- und Teetrinker Steinmeier lebt „Tradition, Fairness und die Aufrichtigkeit des ehrbaren Kaufmanns“ vor. So könnte man sich den distinguierten Herren durchaus mit Bowler Hat vorstellen – very british. Doch Steinmeier zelebriert sich nicht selbst. Deshalb passt als Symbol seiner Lebensart doch eher die Adler-Büroschreibmaschine aus dem Jahre 1949, dem gleichen Jahr, in dem der junge Otto Heinrich seine Lehre als Importkaufmann bei der Firma Schlüter & Maack im Sandthorquaihof startete. Fünf Jahre später engagierte ihn der Kaffee-Agent Wolfram Wendt und machte ihn 1970 zum Teilhaber. Steinmeier zog in sein heutiges Büro im gleichen Haus in der Straße Pickhuben 6 mit herrlichem Blick auf Zollkanal und Katharinenkirche ein. Nur einmal in über 60 Jahren ließ die Adler ihren Chef im Stich – der Kipphebel des E war gebrochen.

Kaffee ist nach Erdöl das globale Handelsgut Nummer Zwei.

Fachwerkstätten sahen sich zur Reparatur außerstande. Als Steinmeier daraufhin vor Kunden sein Leid klagte, überhäuften die ihn mit alten Beständen. Seitdem besitzt Steinmeier ein Original und fünf Ersatz(teil)maschinen – man kann ja nie wissen. Ansonsten gehören neben dem Pager noch Tele-fon und Faxgerät zum Handwerkszeug, während man einen Computer in seinem traditionell eingerichteten Büro mit Vollholzmöbeln, Ledersofa, Schiffsmodellen und maritimen Ölgemälden vergeblich sucht. Wirkt in Steinmeiers Umgebung fast alles wie vor 50 Jahren, so hat sich der Kaffeehandel seitdem stark verändert, nicht gerade zur Freude des Traditionsbewussten. „An den Börsen wird heute wild in Kaffee spekuliert. Allein 2010 kletterte der Rohkaffeepreis um gut 100 Prozent, dieses Jahr auch schon wieder um rund 50 Prozent“, berichtet der Kaffee-Agent. Doch nicht die Kaffeeproduzenten, sondern weltweit agierende Funds profitierten davon. „Heute spekulieren sie in Kaffee, morgen in Silber und übermorgen in Schweinebäuche“, beklagt der Bohnenexperte, „dabei gehen sie mit derart riesigen Summen in den Markt, dass sie die Marktentwicklung selbst initiieren können.“

Wenn die täglich benutzte Adler-Schreibmaschine einmal streikt, kommt eine der baugleichen Ersatzmaschinen zum Einsatz.

Wenn die täglich benutzte Adler-Schreibmaschine einmal streikt, kommt eine der baugleichen Ersatzmaschinen zum Einsatz.

Dennoch macht Steinmeier die Arbeit nach wie vor Spaß. Als Agent kauft er nicht selbst Kaffee, sondern vermittelt Partien zwischen überseeischen Exporteuren und einheimischen Importeuren. „So bin ich neutral und kann meine Kunden optimal beraten“, sagt er. Und bei aller Veränderung haben in Hamburg auch Traditionen im Kaffeehandel überdauert. Kommt es zu Unstimmigkeiten über die Kaffeequalität, so entscheiden nicht normale Gerichte, sondern ein vom Verein der Hamburger Caffeeimport-Agenten und -Makler von 1888 bestelltes Arbitrage-Gremium. „Das braucht keine Monate, sondern eine Stunde für ein Urteil“. Bei Geld- und Vertragsstreitigkeiten ist ein kaufmännisches Schiedsgericht des Deutschen Kaffeeverbandes zuständig, dem sich die Marktteilnehmer ebenfalls verpflichtet haben. Wo im Berufsleben noch der Handschlag gilt, bleibt Otto Heinrich Steinmeier auch privat traditionellen Werten treu. Sein Lieblingsspielzeug jedenfalls ist ein Gutbrod Superior, Baujahr 1952, mit dem er schon auf so mancher Oldtimer-Rallye glänzen konnte.

Text: Michael Hertel, Fotos: Thomas Hampel
Quartier 14, Juni–August 2011 , Rubrik:    
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