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Zu Tisch

Die Suche nach kulinarischer Perfektion: Spitzenkoch Kevin Fehling will das erste Drei-Sterne-Restaurant in Hamburg führen


Kevin Fehling

Kevin Fehling: Seit dem 1. August ist sein Restaurant in der HafenCity geöffnet – theoretisch, denn es ist jetzt schon auf Monate ausgebucht

„Niemand würde mich fälschen, wäre ich ein mittelmäßiger Künstler“, soll Salvador Dalí einmal gesagt haben. Sein Maßstab für die Qualität seiner Werke war die Anzahl seiner Nachahmer. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Kevin Fehling. Er wolle nicht kopieren, lässt er sich immer wieder mal zitieren, er wolle kopiert werden. Er versteckt seinen Ehrgeiz nicht hinter falscher Bescheidenheit. Im Gegenteil, seit seiner Ausbildung hat er sich seine Arbeitgeber ganz bewusst nach deren Referenzen im Michelin-Führer ausgesucht: Wahabi Nouri und Michael Wollenberg in Hamburg, Roy Petermann im Lübecker Wullenweber und schließlich beim Gottvater der deutschen Sterneküche, bei Harald Wohlfahrt in Baiersbronn. Fehlings Ehrgeiz wurde belohnt. Im La Belle Epoque, dem Restaurant des Fünf-Sterne-Hotels Columbia in Travemünde, erkochte er sich innerhalb weniger Jahre drei Sterne.

In Deutschland glaubt man, der beste Koch heiße Alfons Schuhbeck

Als Koch lässt sich eigentlich nicht mehr erreichen. Aber „eigentlich“ heißt ja in den meisten Fällen: eigentlich nicht. Mit Ende 30 legt ein Drei-Sterne-Koch nicht die Hände in den Schoß, um sich die nächsten 30 Jahre darauf auszuruhen. Jeder große Koch will an seiner Handschrift feilen, seiner ganze Kreativität entfesseln. Deshalb war es auch nicht überraschend, als Kevin Fehling im letzten März, nach zehn Jahren La Belle Epoque, verkündete, er werde nach Hamburg kommen. Seine Antwort auf die Frage, was nach drei Sternen komme? Der absolute Individualismus. Eines der Worte, die er gerne und häufig im Munde führt: Individualismus. Oder Perfektion, kulinarische Intelligenz, und immer absolut.

The Table

Raffinierte Details nicht nur beim Menü

„Immer wenn es richtig gut wird, steigt auch die Zahl der Wahnsinnigen“, hat der Gastro-Kritiker der FAZ, Jürgen Dollase, einmal festgestellt. „Spitzenleistungen kommen selten von Leuten, die immer auf die Stechuhr starren.“ Aber was ist ein perfektes Essen? Perfekt ist für Fehling, wenn alles, von Anfang bis Ende, eine stimmige Inszenierung ist, aber der Gast trotzdem glaubt, er sei zu Besuch bei Freunden, die einfach gut kochen können: Von den hohen Ledersesseln, der Raumtemperatur und dem Geruch bis zu Akustik, Lichtkonzept und Musik ist alles in The Table Teil des großen kulinarischen Schauspiels, dessen Höhepunkt das Menü ist. Die Art und Weise, in der er zahllose Ideen mit raffiniertem Handwerk und vorurteilsfreien Interpretationen verbindet, hat etwas Künstlerisches. Wobei die Kunst erst entsteht, indem sie zerstört wird, denn gutes Essen ist erst gut, wenn es schmeckt. Die Perfektion von Kevin Fehling ist das einmalige Erlebnis und die Erinnerung daran.

Vielleicht versteht Fehling sich und andere deutsche Sterneköche deshalb als Teil einer Avantgarde. Eine Avantgarde allerdings, die sich unter Preis verkauft. Deutsche Restaurants verzeichnen nach Frankreich weltweit die meisten Michelin-Sterne, besitzen aber international kaum Profil. Jeder kennt Ferran Adriá, aber in Deutschland glaubt man, der beste deutsche Koch heiße Alfons Schuhbeck oder Johann Lafer. Das will Fehling ändern. „In der Spitzengastronomie ist viel Innovationskraft auf der Jagd nach den Michelin-Sternen verloren gegangen“, erklärte er im Juli 2015, als er bei einem Symposium der Witzigmann Academy in München sein Konzept für The Table vorstellte. „Wir orientieren uns zu sehr an den allgemeinen Anforderungen: Silberbesteck, teures Geschirr, gebügelte Tischdecken.“ In den meisten neuen Restaurants hat man sich längst von dieser piefigen Etikette verabschiedet – nicht aber im Sterne-Segment. Dort glaubt man immer noch, wer für 280 Euro esse, wolle auch weiße Tischdecken.

The Table

The Table: Ein einziger, gewundener Tisch für 20 Personen, die an einem Abend von sechs Köchen, drei Servicekräften und Kevin Fehling bewirtet werden

Im The Table findet der Luxus auf dem Teller statt. An einem Tisch, in dem sich Fehlings gesamte Idee von einem modernen Sterne-Restaurant manifestiert. An diesem langen, gewundenen Tisch bedienen Kellner nicht klassisch über die rechte Schulter, sondern von vorne. Gäste sitzen nur auf einer Seite, der offenen Küche zugewandt. Im Prinzip folgt Fehling damit dem Vorbild eines klassischen Chef’s Table, an dem der Koch als Gastgeber für sein Können und seinen Stil geradesteht. Es gibt Vorbilder wie die Ateliers von Joël Robuchon, eine exklusive Kette mit Filialen in London, Paris, Las Vegas, Tokyo und einem halben Dutzend weiterer Städte, in denen an der Bar gegessen wird. Oder das Brooklyn’s Fare, ebenfalls ein Drei-Sterne-Restaurant, in dem aber ein steifer Dresscode regiert: Jeans, Turnschuhe, kurzärmlige Hemden sind verboten. Das ist Fehling viel zu unlocker. Er will ein Gesamtpaket mit einer warmen, leicht luxuriösen Wohnzimmeratmosphäre.

Er kann die drei Sterne aus Travemünde nicht mitnehmen. Aber er hat den Anspruch mitgenommen – und das Team. Mit Ausnahme des Sous Chefs Alexander Hohlwein hat ihn sein ganzes Küchenteam nach Hamburg begleitet, einschließlich Restaurantleiter und Sommelier David Eitel. Das Ziel: Sterne. „Mein Leben ist die Sternewelt“, hat Fehling einmal gesagt. „Daraus habe ich nie einen Hehl gemacht. Ich benötige einen Maßstab. Und die Sterne geben da weltweit den Takt an.“

The Table
Shanghaiallee 15
www.thetable-hamburg.de

Text: Nikolai Antoniadis, Fotos: Jonas Wölk, Astrid Hüller
Quartier 31, September–November 2015 , Rubrik:    
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