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Momentaufnahme

Über 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Allein Hamburg hat von Januar bis Oktober 13.179 Schutz suchende Menschen aufgenommen

Flüchtlinge

In der Katharinenkirche sind im November zeitweilig mehrere Flüchtlingsfamilien untergekommen, die sich auf dem Weg nach Dänemark und Skandinavien befinden

Von einer Pritsche in einem 28 Quadratmeter großen Holzhaus, das man mit 15 anderen – und wenn man Pech hat völlig fremden – Menschen teilt, über einen Wohnplatz in einem Container bis hin zu einer zu dicht belegten Wohnung in einer Folgeeinrichtung: Die Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge scheinen in der „schönsten Stadt der Welt“ vielfältig zu sein. Hohe Anforderungen für Gäste und Gastgeber, denn es geht um nichts weniger als um die menschenwürdige Unterbringung in einer Stadt, in der es ohnehin einen sehr angespannten Wohnungsmarkt gibt. Verteilungskämpfe inbegriffen! Wer ein Bleiberecht hat, soll integriert werden, so die Stadt. Deutschkenntnisse, Arbeit und nicht zuletzt ein eigenes Dach über dem Kopf sind dabei bekanntlich Voraussetzungen für die Eingliederung.

Um den Wohnraummangel in den Griff zu bekommen, hat der Hamburger Senat im Oktober beschlossen, zusätzlich zu den jährlich geplanten 6.000 neuen Wohnungen etwa 5.600 weitere Sozialwohnungen zu errichten. Dafür beauftragte der Senat die sieben Hamburger Bezirke, geeignete Flächen mit einer Größe von circa acht Hektar zu benennen, auf denen der Bau von jeweils bis zu 800 Wohneinheiten möglich ist. Und da die Zeit drängt, denn die geopolitische Lage bringt auch in der kalten Jahreszeit viel mehr geflüchtete Menschen als erwartet in die Hansestadt, sollen die Sozialwohnungen in einer Rekordzeit von nur einem Jahr bis Weihnachten 2016 bezugsfertig sein. Die dadurch entstehenden Wohneinheiten, werden – wenn es nach dem Senat geht – durch Genossenschaften und private Unternehmen errichtet und von der Stadt für Flüchtlinge angemietet. Nach Ablauf von 15 Jahren sollen die Wohnungen dann dauerhaft dem Hamburger Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen. Ein Konzept, das stadtentwicklungspolitische und rechtliche Fragen aufwirft.

Flüchtlinge

„Die Wohnungen mit eigenen Bädern und Küchen werden ohne Abstriche vom aktuellen Baustandard errichtet“, erklärte die Stadtentwicklungsbehörde in einer Pressemitteilung. Dabei soll der Maßstab für Wohnungsgröße und -ausstattung den geltenden Standards des öffentlich geförderten Wohnungsbaus entsprechen, jedoch mit planungsrechtlichen Erleichterungen im Baugesetzbuch für Flüchtlinge und Asylbegehrende. „Die Gebäude werden im Rahmen der Genehmigung im vollen Umfang auf alle Standards der Hamburgischen Bauordnung geprüft“, heißt es weiter in dem Papier.

Der Bürgerschaftsabgeordnete und ehemalige Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) dagegen glaubt nicht, dass aktuelle Baustandards beim Bau im Schnellverfahren eingehalten werden können. „Vielleicht ist jetzt sogar eine gute Gelegenheit, sich von überzogenen technischen Anforderungen beim Bauen wieder zu trennen, die das Wohnen deutlich teurer machen und die Fertigstellung von Wohnungen verzögern oder sogar verhindern“, sagt Schreiber.

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Sind die geplanten zusätzlichen Sozialwohnungen überhaupt ausreichend? Schreiber glaubt, dass aufgrund der hohen Belegung mit bis zu 28.000 geflüchteten Menschen tatsächlich langfristig genügend Wohnraum geschaffen werden könnte. „Allerdings müssten für alle Hamburger auch weiter die mindestens 2.000 Sozialwohnungen jährlich gebaut werden, damit man sich das Wohnen in Hamburg leisten kann“, so Schreiber.

Um die völlig überfüllten Hamburger Zentralen Erstaufnahmestellen zu entlasten, in denen viele Flüchtlinge bereits zu „Dauergästen“ geworden sind, strebt die Hansestadt aktuell eine schnellere Verteilung der Flüchtlinge an. Sie hat dafür im Rahlstedter Gewerbegebiet mehrere Hallen als erste Anlaufstelle angemietet, in denen auch alle für die Erstaufnahme zuständigen Behörden mit Außenstellen vertreten sein sollen. Hier sollen die Menschen registriert werden und nach maximal zwei Tagen in naheliegende Gebäude einziehen, wo dann Asylanträge gestellt werden können. Es soll dann schnell klar sein, wer in Hamburg bleibt und wer in andere Bundesländer weiter reisen muss. Bleibende Asylsuchende sollen nach maximal fünf Tagen in die 30 dezentralen Erstaufnahmeeinrichtungen der Stadt verteilt werden.

Die sieben Flächen, die die Hamburger Bezirke benannt haben, fallen alle aus dem normalen Bebauungsverfahren heraus. Das macht Bürgerbeteiligung so gut wie unmöglich. „Ein Bebauungsplanverfahren dauert in der Regel zwei bis drei Jahre, das anschließende Bauantragsverfahren weitere ein bis zwei Jahre, der Bau selbst dann etwa ein Jahr. Das bedeutet, dass die Wohnungen in vier bis sechs Jahren fertig wären. Das ist einfach zu lang, wir brauchen schnell Wohnungen. Insofern halte ich den Verzicht auf langwierige Verfahren für richtig und dringend erforderlich“, so der SPD-Mann.

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Wenn die benötigten Flüchtlingsunterkünfte nach den üblichen Förderrichtlinien des sozialen Wohnungsbaus gefördert werden, hat das finanzielle Auswirkungen auf den Haushalt der Hansestadt. Rund 455 Millionen Euro müssten dann noch im Jahr 2015 zusätzlich zu der bereits bestehenden Wohnraumförderung bewilligt werden. Die höheren Haushaltsbelastungen würden dann im Jahr 2016 sieben Millionen Euro betragen, im Jahr 2017 rund 64 Millionen Euro aufgrund von Einmalzuschüssen nach Abschluss des Baus. Im Jahr 2018 würden die Haushaltsbelastungen nach Berechnungen der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen 29 Millionen Euro betragen. Ab 2019 soll die Belastung dann jedes Jahr um etwa 300.000 bis 500.000 Euro sinken.

Text: Conceiçaõ Feist, Edda Teneyken, Fotos: Jonas Wölk
Quartier 32, Dezember 2015–Februar 2016 , Rubrik:    
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